Polen und die Ukraine – Streifzug durch ein Jahrhundert Fußballgeschichte

Während der Fußball-Europameisterschaft 2012 schauten die europäischen Fußballfans nach Polen und die Ukraine. Für viele waren die Gastgeberländer eine fußballerische terra incognita. Doch der Fußball in Polen und der Ukraine hat eine facettenreiche Vergangenheit. In ihr spiegeln sich auch die großen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts in Mittelost- und Osteuopa.

Von Martin Brand

Wie alles begann…

Als Polen und Ukrainer begannen Fußball zu spielen, existierten ihre Staaten nicht auf der europäischen Landkarte. In jener Zeit – am Ende des 19. Jahrhunderts – war Polen zwischen Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt; die ukrainische Nationalbewegung kämpfte noch darum, als eigenständige Nation anerkannt zu werden. Das Leben im ostgalizischen Lemberg (pol. Lwów, ukr. L‘viv) wurde in jener Zeit von Polen geprägt, es gab aber auch eine bedeutende jüdische Minderheit und eine erstarkende ukrainische Nationalbewegung. Eine kurze Begegnung zweier polnischer Sokol-Mannschaften in der Stadt im Sommer 1894 gilt deshalb nicht nur als erstes polnisches Fußballspiel. Auch in der Ukraine betrachtet man diese Partie als Beginn der nationalen Fußballgeschichte.

Tatsächlich aber begann man in vielen Regionen auf dem heutigen Gebiet von Polen und der Ukraine unabhängig voneinander Fußball zu spielen. Henryk Jordan (Krakau) und Edmund Cenar (Lemberg) vermittelten jungen Turnern aus den Sokol-Vereinigungen bereits Anfang der 1890er Jahre den englischen Ballsport. In der Schwarzmeerstadt Odessa spielten englische Angestellte der Indo-Europäischen Telegraphenlinie schon Ende der 1870er Jahre Fußball; in Kiew waren es tschechische Fabrikarbeiter und in Czernowitz deutsche Studenten, die um die Jahrhundertwende den Fußball in die Region brachten.

Die ersten Fußballvereine gründeten sich im unter österreichischer Verwaltung stehenden Galizien. In Lemberg wurden die Klubs Czarni, Lechia (1903) und Pogon (1904) ins Leben gerufen, in Krakau Wisła und Cracovia (1906). Sie gründeten 1911 den Polnischen Fußballverband in Galizien und trugen regelmäßig Spiele untereinander und gegen Mannschaften aus dem Habsburger Reich aus.

In den von den preußischen und russischen Behörden kontrollierten Gebieten wurden polnische Vereinsgründungen zunächst behindert. Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges entstanden aber auch dort in Posen (Preußen), Łódz und Warschau (Russland) polnische Fußballvereine. In den zum russischen Zarenreich gehörenden ukrainischen Gebieten blühte der Vereinsfußball ebenfalls noch vor dem Ersten Weltkrieg auf.

Nach der Gründung des Allrussischen Fußballverbandes 1912 nahmen Auswahlmannschaften unter anderem aus Kiew, Charkiw und Odessa an der ausgetragenen russischen Meisterschaft teil.

Der Erste Weltkrieg unterbrach die Entwicklung des Fußballs. Und sein Ausgang ordnete die Grenzen, Nationalitäten und politischen Verhältnisse im östlichen Europa völlig neu – nicht ohne Auswirkungen auf den immer beliebter werdenden englischen Ballsport.

Die polnischen Teilungsgebiete wurden zu einem unabhängigen Staat, in Russland führte die Oktoberrevolution zur Gründung der Sowjetunion mit einer Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Das von Polen und Ukrainern bewohnte Ostgalizien mit der Hauptstadt Lemberg ging an Polen.

Fußball in Polen von 1921 –1945

Doch auch nach der Unabhängigkeit standen Polens zukünftige Grenzen noch nicht fest. Erst nachdem der Polnisch-Sowjetische Krieg (1919 –1921) endete und Oberschlesien schließlich zwischen dem Deutschen Reich und Polen geteilt wurde (1922), konnte sich der polnische Fußball entfalten. Im Jahr 1921 trat der drei Jahre zuvor gegründete Polnische Fußballverband der Fifa bei, absolvierte sein erstes Länderspiel gegen Ungarn (das 0:1 verloren ging) und richtete erstmals die polnische Meisterschaft aus, die Cracovia Krakau für sich entschied. Ab 1927 wurde die Meisterschaft dann im regulären Ligabetrieb mit Hinund Rückspielen ausgetragen.

Zum Zentrum des polnischen Fußballs Anfang der 1920er Jahre wurde das ostgalizische Lemberg. Das bis heute legendäre Pogon Lemberg wurde von 1922 bis 1926 viermal polnischer Meister und avancierte zur besten polnischen Mannschaft vor dem Zweiten Weltkrieg. Neben Pogon spielten damals drei weitere Lemberger Vereine in der höchsten polnischen Spielklasse, darunter auch der jüdische Klub Hasmonea.

Nicht ganz so erfolgreich war der Verein Ukraina Lemberg, der dennoch für die ukrainische Minderheit in der Stadt eine besondere Bedeutung als Repräsentant der ukrainischen Nation in Polen besaß.

Konkurrenz erfuhr der Lemberger Fußball in den 1920er Jahren vor allem durch Mannschaften aus Westgalizien. In Krakau holten nicht nur die beiden traditionsreichen Rivalen Wisła und Cracovia mehrfach den Meistertitel, auch Garbania Krakau – die Werksmannschaft profitabler Gerbereien der Stadt – trug sich in die Liste der polnischen Fußballmeister ein.

Doch in den 1930er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt des polnischen Fußballs nach Oberschlesien. Gleich fünfmal errang Ruch Chorzów (bis 1938 Ruch Hajduki Wielkie) in dieser Zeit die polnische Meisterschaft. Obwohl Ruch das Lieblingsteam polnischer Patrioten in Oberschlesien war, avancierte in dieser Zeit der aus einer deutschen Familie stammende Oberschlesier Ernst Wilimowski zum Superstar des Vereins. Wilimowski brillierte ebenso in der polnischen Nationalmannschaft und schoss im legendären ersten polnischen WM-Spiel 1938 vier Tore gegen Brasilien. Das erste Tor des Spiels erzielte der Posener Friedrich Scherfke. Die Partie ging jedoch mit 5:6 nach Verlängerung verloren.

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs beendete abrupt die verheißungsvollen Auftritte der polnischen Nationalelf und den Spielbetrieb der nationalen Fußballliga. Die deutschen Besatzer verboten Polen Sport zu treiben, denn sie fürchteten, dass die Turn- und Sportvereine zum Hort des nationalen Widerstands werden könnten. Trotzdem organisierten polnische Fußballteams aus Krakau und Warschau konspirative Spiele, die sie in Randbezirken oder kleineren Vororten austrugen.

Fußball in der Ukraine von 1921–1945

In Russland führte die Oktoberrevolution zum Sturz des Zaren, brachte gewaltige gesellschaftliche Umbrüchen mit sich und bescherte den Ukrainern den ersten eigenen Staat innerhalb der Sowjetunion. In den 1920er Jahren förderten die neuen Machthaber die ukrainische Kultur und Sprache und trugen so zur Ukrainisierung bei. Doch tiefer ins kollektive Bewusstsein der Ukrainer prägten sich die Schrecken jener Zeit. In der „Kornkammer Europas“ führte eine durch politische Entscheidungen herbeigeführte Hungersnot 1932/33 zu etwa drei Millionen Toten. Hunger und die Verfolgungen während des Großen Terrors von 1936 bis 1938 beendeten den kurzen Aufschwung der ukrainischen Nation.

Herz des ukrainischen Fußballs in den 1920er Jahren war Charkiw, dessen Stadtauswahl alle sieben ukrainischen Meisterschaften von 1921 bis 1931 gewann und zugleich 1924 sensationell erster sowjetischer Stadtmeister wurde. In den Jahren 1925 und 1926 fand die ukrainische Meisterschaft nicht statt, der sowjetische Wettbewerb setzte gar bis 1928 aus, denn Fußball galt der jungen Sowjetmacht als „unproletarische“ Sportart.

Mit der Verlegung der ukrainischen Hauptstadt 1934 von Charkiw nach Kiew wurde die neue Hautstadt zum Zentrum des ukrainischen Fußballs. In der ab 1936 ausgetragenen sowjetischen Vereinsmeisterschaft spielte Dynamo Kiew als ukrainischer Vertreter und errang gleich im ersten Jahr den zweiten Platz.

Das erste internationale Spiel einer ukrainischen Nationalauswahl fand 1933 in Charkiw gegen die Türkei statt. Da die Sowjetunion keinem der internationalen Sportverbände angehörte, war es schwer Länderspiele zu organisieren. Aber auf Einladung sozialistischer Arbeitervereine konnte eine ukrainische Auswahl – vornehmlich aus Spielern von Dynamo Kiew – im Sommer 1935 auf einer Fußballtour durch Belgien und Frankreich reisen, wo sie u.a. den Pariser Erstligisten Red Star Olympique klar besiegten.

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Das „Unternehmen Barbarossa“ erzwang den „Großen Vaterländischen Krieg“ und beendete das Fußballleben in der Ukraine. Im September nahmen die Nazis Kiew ein und errichteten ein brutales Besatzungsregime, das sich bald gegen die vermeintlich befreite einheimische Bevölkerung, vor allem aber gegen die ukrainischen Juden richtete. Allein am 29. und 30.

September 1941 ermordeten deutsche Einheiten mehr als 33.000 Juden in der am Stadtrand gelegenen Schlucht Babyn Jar. Um im besetzen Kiew einen Hauch von Normalität zu simulieren, erlaubte der deutsche Stadtkommandant im Sommer 1942 eine Fußballliga mit Soldatenmannschaften und zwei ukrainischen Teams zu organisieren. Der FC Start – für den viele Spieler von Dynamo Kiew aufliefen – wurde zum dominanten Team und gewann alle seine neun Partien. Die Begegnung mit der deutsche Flakelf wurde zum Mythos in der Ukraine und ging als „Todesspiel“ in die Geschichte ein – auch wenn die Ermordung einiger Spieler des FC Start wohl nicht auf das gewonnene Fußballspiel gegen die Flakelf zurückzuführen ist.

Verschobene Grenzen – vergangene Traditionen

Der Zweite Weltkrieg verschob abermals die Grenzen in Mittel- und Osteuropa und beendete viele Fußballtraditionen in den betroffenen Gebieten. Polen wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt und Lemberg zu einer sowjetischen Stadt. Die neuen Machthaber lösten die bestehenden polnischen, ukrainischen und jüdischen Traditionsvereine auf und gründeten an ihrer Stelle neue Klubs mit Namen wie Dynamo, Lokomotive oder Spartak.

Nach dem Krieg blieb Ostgalizien Teil der Sowjetunion. Zum Ausgleich wurden Polen auf der Konferenz von Jalta die deutschen Ostgebiete zugesprochen. Lemberg blieb fortan in der Ukraine eine Fußballprovinz, und in Polen trauerte man den verlorenen traditionsreichen ostgalizischen Klubs nach. Die neuen polnischen Bewohner in den ehemaligen deutschen Gebieten gaben ihren neuen Fußballvereinen deshalb häufig die wohlklingenden Lemberger Vereinsnamen oder deren traditionellen Vereinsfarben. Am bekanntesten sind Polonia Bytom, Pogon Stettin und Lechia Danzig. Die dortige deutsche Fußballtradition ging unterdessen ganz verloren.

Völlig ausgelöscht wurde derweil die Tradition des jüdischen Fußballs im östlichen Europa. Jüdische Vereine wie Makkabi Warschau, Jutrzenka Krakau oder Hasmonea Lemberg wurden 1939 aufgelöst. Viele jüdische Spieler wurden von den Nazis ermordet. Unter ihnen waren auch der Schütze des ersten polnischen Länderspieltors Józef Klotz und der Lemberger Stürmerstar Zygmunt Steuermann. Nach dem Krieg verließen die meisten der noch lebenden Juden wegen antijüdischer Ausschreitungen Polen.

Bei vielen Polen saß der Schmerz über den Verlust der polnischen Ostgebiete an die Sowjetunion tief und wurde durch den aufgezwungenen Übergang zum sowjetischen Staatssozialismus noch verstärkt. So begründet sich eine Feindseligkeit gegenüber der Sowjetunion, der in der Zeit des politischen Tauwetters 1957 gut 100.000 polnische Fußballfans im Nationalstadion von Chorzów bei einem legendären Spiel gegen die Sowjetunion lautstark Ausdruck verliehen.

Das goldene Jahrzehnt des polnischen Fußballs

Als Kazimierz Górski 1971 Trainer der polnischen Nationalmannschaft wurde, begann das goldene Jahrzehnt des polnischen Fußballs. Wenige Monate zuvor war Edward Gierek nach den Dezemberunruhen an der polnischen Ostseeküste neuer Staatschef geworden. Unter ihm gab es im ganzen Land spürbare Verbesserungen. Löhne und Renten wurden erhöht, westliche Konsumgüter und Musik immer beliebter und die Grenzen für Reisen auch ins westliche Ausland durchlässiger. Das Land schien aufzublühen und die internationalen Erfolge der polnischen Nationalelf trugen erheblich zur Aufbruchstimmung bei.

Ihren ersten internationalen Turniersieg errang Polen bei den Olympischen Sommer spielen in München 1972. In strömendem Regen schlugen sie den Titelverteidiger Ungarn mit 2:1. Eine wahre Fußballsensation gelang den polnischen Spielern ein Jahr später. In der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 1974 mussten sie gegen England antreten und gewannen das Hinspiel mit 2:0 vor 100.000 Fans im oberschlesischen Chorzów. Das Rückspiel im Londoner Wembley-Stadion endete dank des fantastisch haltenden polnischen Torhüters Jan Tomaszewski 1:1. Polen durfte zur WM nach Deutschland fahren, England war ausgeschieden.

Zur Weltmeisterschaft 1974 trat wohl die beste polnische Nationalelf aller Zeiten an. Auf dem Weg in die Zwischenrunde schlug Polen die zur Weltspitze zählenden Italiener und Argentinier. Nur durch eine äußerst unglückliche Niederlage gegen den späteren Weltmeister Deutschland blieb ihnen der Einzug ins Finale verwehrt. Das Spiel um Platz 3 gegen Brasilien aber gewann die polnische Elf. In der Heimat wurde die Mannschaft im Sommer 1974 auf den Straßen gefeiert und bei der Rückkehr begeistert empfangen.

Bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal zog Polen erneut ins Finale ein, unterlag dort aber der Mannschaft aus der DDR. Nach dieser Niederlage trat die Trainerlegende Kazimierz Górski von seinem Amt zurück und reagierte damit auf die laut werdende Kritik, nachdem Polen zuvor bereits die Qualifikation zur Europameisterschaft verpasst hatte. Weit weniger erfolgreich war unterdessen der polnische Vereinsfußball, der in den 1970er kaum Erfolge erringen konnte.

Spätestens Ende der 1970er Jahre war nicht mehr zu übersehen, dass auch die polnische Wirtschaft in einer tiefen Krise steckte. Der Aufschwung unter Gierek war vor allem mit westlichen Krediten finanziert worden, weshalb eine hohe Auslandsverschuldung das Land drückte. Preise stiegen, Schlangen vor leeren Geschäften wurden wieder normal und landesweit brachen Streiks aus. Am 13. Dezember 1981 verhängte die polnische Regierung das Kriegsrecht und verbot die unabhängige Gewerkschaft Solidarność. Es kam zu schweren Unruhen mit Toten und Verletzten; die wirtschaftliche Lage war katastrophal.

In dieser angespannten Zeit sorgten die polnischen Fußballer erneut für eine große Überraschung bei der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien. Während die Fans im Spiel gegen die Sowjetunion mit Solidarność-Plakaten auf den Rängen demonstrierten, spielte sich die polnische Nationalelf völlig unerwartet bis ins kleine Finale, wo sie Frankreich mit 3:2 besiegten. Mit diesem erneuten dritten Platz endete die goldene Zeit des polnischen Fußballs.

Die Blütezeit des ukrainischen Fußballs

Dynamo Kiew war das Aushängeschild der Ukraine im sowjetischen Fußball. Mit 13 sowjetischen Meisterschaften, neun Pokalsiegen und zwei Erfolgen im Europapokal der Pokalsieger konnten die Blau-Weißen ab Mitte der 1960er Jahre die Vorherrschaft der Moskauer Vereine brechen. Aber Dynamo war nicht die einzige erfolgreiche Mannschaft der Ukraine.

Von 1974 bis 1977 spielten sechs ukrainische Klubs in der ersten sowjetischen Liga. Neben Dynamo errangen auch andere Vereine des Landes wie Dnipro Dnipropetrowsk, Schachtar Donezk, Metalist Charkiw, Sorja Luhansk und Karpaty Lemberg sowjetische Titel.

Im Jahr 1975 erreichte Dynamo Kiew erstmals den Fußball-Zenit. Die Blau-Weißen gewannen mit ihrem Superstar Oleh Blochin und mit Walerij Lobanowskyj auf der Trainerbank die Meisterschaft, den Europapokal der Pokalsieger und den europäischen Super-Cup. Trainer Lobanowskyj ließ sich vom „totalen Fußball“ der niederländischen Mannschaft inspirieren, führte wissenschaftliche Trainingsmethoden ein und entwickelte eine ganz eigene Taktik. Auf rastlose Angriffswellen folgten Phasen der Erholung auf dem Feld und nach einer meist schnellen Führung verlegte sich die Mannschaft unverhohlen darauf, das Ergebnis zu halten. Trotz der Erfolge stieß Dynamos Prinzip „daheim gewinnen – auswärts unentschieden“ auf Unverständnis in der Presse und bei den Moskauer Funktionären. Man warf den Blau-Weißen „Antifußball“ vor – und änderte kurzerhand die Regeln. Ab 1978 war in der sowjetischen Liga nur noch eine bestimmte Anzahl von Remis in einer Saison (zunächst acht, später zehn) erlaubt. Wurde diese Zahl überschritten, erhielt die Mannschaft keine Punkte mehr für ein Unentschieden. Geschadet hat diese Regeländerung Dynamo Kiew allerdings nie.

Zu einem zweiten Höhenflug setzte Dynamo Kiew in den 1980er Jahren an, dessen Krönung nach den Meisterschaften 1980, ’81, ’85 und ’86 der erneute Gewinn des Europapokals der Pokalsieger 1986 war. Erfolgstrainer war noch immer Walerij Lobanowskyj, der zugleich 1975/76, 1982/83 und von 1986 bis 1990 auch dreimal Nationaltrainer der Sowjetunion war.

Immer wieder engagierten die Moskauer Fußballfunktionäre den erfolgreichen Kiewer Trainer, blieben ihm gegenüber aber skeptisch und ließen ihn bei Erfolglosigkeit – 1976 wurde die UdSSR nur Dritter bei den für Moskau so prestigeträchtigen Olympischen Spielen; 1983 verpasste die UdSSR die Qualifikation zur Europameisterschaft – sogleich fallen. Denn Lobanowskyj machte sich in Moskau unbeliebt, indem er vor allem Spieler seines Klubs Dynamo Kiew für die Nationalelf nominierte und diese so quasi zu einer ukrainischen Auswahlmannschaft machte. Seinen größten Erfolg mit der Nationalmannschaft erzielte Lobanowskyj bei der EM 1988, wo er mit 13 ukrainischen Fußballern im Team Vizeeuropameister wurde. Für viele Ukrainer war dieser Erfolg der „ukrainischen Nationalelf“ eine besondere Genugtuung. Denn angesichts einer rigiden Russifizierungspolitik in der Ukraine und zunehmender Besorgnis über den von Moskau verschleierten Atomunfall in Tschernobyl gewann die ukrainische Nationalbewegung zunehmend an Gewicht.

Fußball seit dem Umbruch

Mit der politischen Zäsur des Jahres 1989 in Mittelost- und Osteuropa wurde nicht nur ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Geschichte, auch der Fußball in der Region geriet in eine tiefe Krise. Viele gute Spieler verließen ihre Teams, um im westlichen Ausland ihr Glück zu versuchen. Unter ihnen der ukrainische Stürmer Andrij Schewtschenko und der polnische Torhüter Jerzy Dudek, die mit ihren Vereinen die Champions League gewannen. Polen hat sich von diesem Aderlass bis heute nicht gänzlich erholt. Zwar gelang es der Nationalelf, sich für die Weltmeisterschaften 2002 und 2006 zu qualifizieren und an der Europameisterschaft 2008 teilzunehmen, die polnischen Klubs aber blieben nach 1989 international weitgehend erfolglos.

Ukrainische Vereine können hingegen einige Erfolge vorweisen. Dynamo Kiew zog Ende der 1990er Jahre ins Halbfinale der Champions League ein und Schachtar Donezk gewann mit seinen brasilianischen Spielern 2009 den Uefa-Pokal. Erinnerungen an die Blütezeit des ukrainischen Fußballs kamen auch 2006 auf, als die ukrainische Nationalmannschaft bis ins Viertelfinale der Weltmeisterschaft vorstieß.

Das Bild vom Fußball in der Region aber prägten in den letzten Jahren vor allem ukrainische Fußballoligarchen und Korruptionsskandale in der polnischen Liga. Entsprechend groß sind die Hoffnungen von Fans und Veranstaltern, dass die Europameisterschaft 2012 der Ausgangspunkt für eine neue Blütezeit des Fußballs in der Region ist.

Erschienen in: Stephan Felsberg / Tim Köhler (Hrsg.): Eastern Allstars – Große Fußballer zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, Vergangenheitsverlag, Berlin 2012.

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