Krakaus Stadtväter hatten einst eine Vision: Ein kleines Manhattan wollten sie unweit von Krakaus Altstadt errichten, das modernste der Moderne sollte es sein. Das war Ende der 1960er-Jahre. Ihr Traum jedoch zerplatzte und statt schicker Hochhäuser kratzt seit über 30 Jahren ein graues Betonskelett, genannt „Szkieletor“, am Himmel über der Stadt. Vor wenigen Jahren gab es einen neuen Plan, Krakaus weithin sichtbaren Schandfleck in eine Art polnisches Rockefeller Center zu verwandeln.
Von Martin Brand
Fast 92 Meter ragt das Ungetüm in die Höhe. Jahrelang stand der „Szkieletor“ wie ein hässliches Gespenst in der Landschaft, bis er vor einigen Jahren zur größten Werbetafel der Stadt umfunktioniert wurde. Schöner wurde er dadurch aber nicht. Mit der Konstruktion des Hochhauses wurde Mitte der 1970er-Jahre begonnen. Wenig später geriet Polen in eine immer schwierigere wirtschaftliche Lage, weshalb die Arbeiten am höchsten Gebäude Krakaus 1979 gestoppt wurden. Seither steht der Rohbau als Investitionsruine ein paar Hundert Meter hinter dem Hauptbahnhof und wartet auf ein neues Konzept. Derer gab es im Laufe der Zeit reichlich, doch immer wieder zogen die Investoren ihre Pläne früher oder später zurück.
In den 1980er-Jahren plante man, den Turm als Wohnhaus für die Arbeiter des Stahlwerks in Nowa Huta zu nutzen – vergeblich. Nach der politischen Wende tauchten Investoren auf, die den „Szkieletor“ (benannt nach einer skelettartigen Comicfigur) in ein Hotel umwandeln oder ihn ganz abreißen und an der Stelle zwei neue Türme errichten wollten – vergeblich. Das unfertige Hochhaus wanderte von einer Hand in die nächste, aufgrund von Problemen mit dem Denkmalschutz oder dem Untergrund konnte aber keiner der Besitzer sein Vorhaben umsetzen.
Ab Sommer 2011 soll nun aber alles anders werden. Ein Krakauer Architekturbüro will dann damit beginnen, den Traum vom kleinen Manhattan doch noch zu verwirklichen. Um gut zehn Meter soll der Turm erhöht werden, Büroräume, Privatapartments und ein Hotel beherbergen und natürlich mit Geschäften, Restaurants und Cafés für eine belebte Umgebung sorgen. Wie am Rockefeller Center in New York soll nach den Plänen der Architekten zwischen den kleineren neuen Gebäuden ein Boulevard entstehen, auf dem sich Menschen treffen, erholen und entspannen sollen. Und vom geplanten Restaurant im obersten Stockwerk des neu gestalteten Hochhauses soll es dann den „schönsten Ausblick Polens“ geben – auf die Altstadt, den Wawel und die Berge der Hohen Tatra. Die Behörden für den Denkmalschutz haben bereits zugestimmt, die Höhe des neuen Turms schade nicht dem Panorama der Altstadt.
Die Aufgabe, die sich den Architekten stellt, ist nicht einfach: Sie müssen zeitgenössische Architektur mit jahrhundertealten Bauwerken wie der Marienkirche und dem Rathausturm auf dem Hauptmarkt, den Bürgerhäusern der Altstadt oder dem hoch erhobenen Schloss auf dem Wawel in Einklang bringen. Kulturell gelingt dieser Spagat zwischen Tradition und Moderne in Krakau schon lange, architektonisch, wenn alles gut geht, in ein paar Jahren. Krakaus Stadtväter haben eine neue Vision – die Stadt, sie träumt wieder.
Erschienen in: Robert Kalimullin, Martin Brand: CityTrip Krakau, Reise Know-How Verlag, Bielefeld, 2011.
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