Breslau hat das modernste Stadion zwischen Leipzig und Krakau

Stadion Miejski BreslauVitali Klitschko durfte zwar schon drin boxen, Sänger George Michael eröffnet den Sporttempel aber erst heute offiziell. Die SZ hat sich vor Ort schon mal umgeschaut.

Von Robert Kalimullin und Martin Brand

Kurz vor 23 Uhr bewegt sich die Stimmung auf ihren Höhepunkt zu: Wieder und wieder geht die La-Ola-Welle durch das neue Stadion von Breslau (Wrocław). „Tomasz Adamek, Tomasz Adamek“ schallt es aus zehntausenden Kehlen. Die Zuschauer, von Kopf bis Fuß in den polnischen Nationalfarben rot und weiß gekleidet, hoffen auf eine Sensation im Boxen, auf einen Sieg ihres „polnischen Kriegers“ Adamek gegen Schwergewichtsweltmeister Vitali Klitschko. Sie werden enttäuscht, Adamek hat nicht den Hauch einer Chance. Mit Stolz verlassen sie dennoch den Schauplatz des Kampfes: die Breslauer Fans und ihre Gäste aus ganz Polen und dem Ausland haben eine neue, moderne Arena in Besitz genommen.

Offiziell wird das „Stadion Miejski“, das städtische Stadion, zwar erst heute eröffnet. Doch diese Trennung zwischen „offizieller“ und „inoffizieller“ Eröffnung kann man auch einfach als PR-Masche der Veranstalter sehen. Fest steht: Seit dem 10. September hat Breslau ein Stadion, das mehr als 42.000 Menschen fasst. Damit beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der Stadt an der Oder, die nun einen würdigen Platz für internationale Großereignisse in der Region Niederschlesien zu bieten hat.

Mit einem „chinesischen Lampion“ wird das Stadion verglichen, seit 2007 die ersten Pläne für die neue Arena bekannt wurden. Und tatsächlich leuchtet das Breslauer Stadion nach Hereinbrechen der Nacht in sattem Grün. Dank eines ausgeklügelten Beleuchtungssystems kann die Fassade ihre Farbe ganz nach Lust und Laune der Veranstalter wechseln. Tagsüber dagegen kann man bei Sonnenschein von der Promenade im Stadioninneren durch die filigrane, halb transparente Außenhülle aus Glasfaser seinen Blick über die Stadt und die Hügel des Umlands schweifen lassen.

Völlig fertiggestellt ist das Stadion dabei noch immer nicht, und das endgültige Einverständnis der Bauaufsichtsbehörde kam erst zwei Tage vor dem Kampf. Als die ersten Zuschauer kurz nach 17 Uhr das Stadion betreten dürfen, sind die grünen Klappsitze des Stadions noch von einer dicken Schicht Baustellenstaub bedeckt. Aus den Decken im Innenbereich hängen Kabel. Und rings um das Stadion stehen noch immer Bagger und Baumaschinen.

„Alles in letzter Minute“

Doch an dieser Unfertigkeit mag sich am Kampfabend kaum jemand stören, ebenso wenig wie an organisatorischen Problemen, die etwa die Anfahrt zum Stadion betreffen. Oder der Mangel an Hotelbetten, der an diesem Wochenende deutlich spürbar ist und zu einem Problem auch bei der Europameisterschaft im kommenden Jahr werden könnte. „Wir Polen sind eben so, wir machen alles erst in letzter Minute“, kommentiert der 20-jährige Damian mit einem Lächeln derlei Meldungen. Der Verkäufer aus dem nordpolnischen Koszalin ist eigens mit dem Nachtzug nach Breslau angereist. Nicht etwa zum Boxkampf. Der interessiert ihn zwar auch, doch Damian möchte zum Europäischen Kulturkongress, der aus Anlass der polnischen EU-Ratspräsidentschaft zeitgleich in Breslau stattfindet. Dort soll seine Lieblingsband spielen.

Gleich zwei weitere Großveranstaltungen – neben dem Kulturkongress findet am Sonntag auch noch der Breslau-Marathon statt – an einem Wochenende, an dem ohne hin schon das bislang größte Sportereignis der Stadtgeschichte stattfindet, zeugen von einer fast schon unverschämten Gelassenheit. Mittags ist auf dem zentralen Breslauer Ringmarkt, dem Rynek, von Anspannung wenig zu spüren. Man sieht sie dort flanieren, die Boxfans, auffallend viele junge kräftige Männer in Zweier- oder Vierergruppen, die meisten in rot-weiß gekleidet, einige aber auch in den ukrainischen Farben gelb und blau. Sie machen mehre Runden um den Platz, lassen sich zur Erinnerung mit ihren Transparenten fotografieren. Doch neben ihnen bevölkern den Platz auch deutsche Reisegruppen, Kulturkongressbesucher, Musiker und Bettler. Man hat nicht den Eidruck, dass Breslau sich von einer Boxweltmeisterschaft so leicht aus seinem Rhythmus bringen lässt.

Dann spürt man doch, wie etwas in der Luft liegt, wenn plötzlich jemand von den Angereisten „Tomasz Adamek“ ruft, und der Name wie ein Echo aus all den Cafés und Biergärten am Platz zurückschallt. Adamek ist ein nationaler Held in Polen, für ihn sind sie aus Stettin und Posen, aus Warschau und Krakau hierher gereist. Und Adamek hat ihnen versprochen, den Weltmeistertitel holen zu wollen – „für alle Polen in der Welt“.
Es ist sicher keine ungewollte Symbolik, dass das EM-Stadion in Breslau seiner Bestimmung mit dem Duell des Polen Adamek gegen den Ukrainer Klitschko übergeben wurde. Polen und die Ukraine sind zusammen Gastgeber der Europameisterschaft im kommenden Jahr. Ihre gemeinsame Geschichte mag auch viel Trennendes haben, eine historische Rivalität ist noch immer spürbar. Doch für 2012 hat man sich zum Ziel gesetzt, „gemeinsam Geschichte zu schreiben“. „Sport kann die Welt zum Besseren ändern“, sagt Vitali Klitschko nach seinem Kampf gegen Tomasz Adamek, „und ich bin mir sicher, dass die Euro 2012 Polen und die Ukraine ändern kann.“

Viel wurde seit der Entscheidung des europäischen Fußballverbandes UEFA im Jahre 2007, die EM an Polen und die Ukraine zu vergeben, geschrieben über die Probleme der Gastgeberländer. Über mangelnde Fortschritte beim Stadien-, Hotel- und Straßenbau. Sogar ein angeblicher bevorstehender Entzug des Turniers wurde diskutiert. Wer will, wird auch nach der Stadioneröffnung von Breslau noch viele Bereiche finden, wo einiges im Argen liegt.

„Am Ende ein tolles Turnier“

Doch wer den Blick auf die Weg strecke richtet, die die Gastgeber bereits zurückgelegt haben, der wird an einem Erfolg der EM kaum noch zweifeln. „Es ist doch immer dasselbe“, kommentierte jüngst anlässlich des Gastspiels der deutschen Nationalelf in Danzig Oliver Kahn, der eine erstaunliche Wandlung vom heißblütigen Torwart zum altersweisen Fußballexperten durchgemacht hat. Jedes Mal würden im Vorfeld in den Medien die Probleme aufgebauscht, „und am Ende wird es ein tolles Turnier“. Das Stadion in Breslau aber wird auch über die EM hinaus die Gewichte in einer Region verschieben, die sich in der Vergangenheit oft an Berlin oder Warschau orientierte. Mit dem Stadion Miejski ist auch ein neues kulturelles und sportliches Gravitationszentrum entstanden, das über die Grenzen Niederschlesiens hinaus strahlen kann.

Ein langer Weg

Als Uefa-Präsident Michel Platini im April 2007 verkündete, die Fußball-Europameisterschaft 2012 werde in Polen und der Ukraine stattfinden, war die Freude unter den vielen hundert Menschen auf dem Breslauer Ringmarkt schier grenzenlos. Noch allerdings war Breslau nur ein Kandidat unter sechs polnischen Städten. Um tatsächlich Gastgeber der EM zu werden, musste die Stadt ein neues, modernes Stadion errichten, das die Kommission der Uefa überzeugen würde – und das in weniger als vier Jahren. Umgesetzt wurde der Entwurf des deutschen Architekturbüros JSK. Im Mai 2009 entschied die Uefa, dass Breslau neben Danzig, Posen und Warschau EM-Spiele sehen wird.
Verzögerungen beim Bau des Stadions trübten aber die anfängliche Euphorie. Als Ende 2009 fast die Hälfte der Bauzeit abgelaufen, das Stadion aber erst zu sieben Prozent fertig war, zog Breslaus Oberbürgermeister Rafał Dutkiewicz die Reißleine. Er entzog dem Warschauer Baukonsortium den Auftrag und übertrug die Leitung dem deutschen Bauunternehmen Max Bögl. Die für Dezember 2010 vorgesehene Übergabe des Stadions verzögerte sich trotzdem. Selbst der vom neuen Auftragnehmer geplante Termin Ende Juni 2011 platzte. Am 3. September schließlich sollten amerikanische Monster-Trucks das Stadion einweihen. Auch dies wurde kurzfristig abgesagt. Erst vergangenes Wochenende konnte die Arena mit dem Boxkampf Klitschko gegen Adamek erstmals genutzt werden.

Wissenswertes rund ums Stadion

  • Stadion Breslau: Das Stadion Miejski bietet Platz für 42 771 Fans, 2 130 Plätze sind für VIP-Gäste reserviert. Neben drei Dutzend Kiosken mit Speisen und Getränken und einer Fan-Bar findet sich im Stadion auch ein Museum und Fan-Shop des WK Śląsk Wrocław, der in diesem Jahr polnischer Vizemeister wurde. Eigentümer des Stadions ist die Stadt Breslau. Betrieben wird die Arena von der Gesellschaft SMG Polska.
  • Veranstaltungen: Das neue Stadion in Breslau wird nicht nur für Fußballspiele genutzt, sondern auch für Großveranstaltungen aller Art. Den Auftakt machte am vergangenen Wochenende Vitali Klitschko mit seinem Boxkampf gegen den Polen Tomasz Adamek. Erst dieses Wochenende allerdings wird George Michael die Arena mit einem Konzert offiziell eröffnen. Für den 1. Oktober ist ein „Monster Jam“, eine Show überdimensionierter Trucks, angesetzt. Während der Fußball-Europameisterschaft 2012 werden im Stadion drei Spiele stattfinden, darunter das letzte Vorrundenspiel der polnischen Nationalmannschaft. Schon ab Ende September wird der Breslauer Klub WK Sląsk Wrocław seine Heimspiele hier austragen. Das erste Fußball-Länderspiel ist für den 11. November angesetzt – Polen empfängt Italien zu einem Freundschaftsspiel.
  • Tickets: Karten für das Eröffnungskonzert von George Michael am heutigen Sonnabend gibt es an der Stadionkasse. Für die Spiele der Europameisterschaft sind bereits alle Tickets ausverkauft. Allerdings kann man mit etwas Glück ab 1. März 2012 auf der Internetseite der Uefa zurückgegebene Karten ergattern. Tickets zu Fußballspielen des WKS Wrocław sind an der Stadionkasse oder auf www.slaskwroclaw.pl zu erwerben.
  • Stadionbesichtigung: Außerhalb von Veranstaltungen kann das Stadion noch nicht besichtigt werden. Für die Zukunft sind Besucherführungen geplant. Diese können dann über die Webseite des Stadions gebucht werden.
  • Anfahrt: Von Bautzen erreicht man das Stadion Miejski mit dem Auto in knapp drei Stunden über die A4 bis Breslau und anschließend über die A8 bis zum Stadion. Für Ticketbesitzer gibt es vor dem Stadion Parkmöglichkeiten, noch sind allerdings nicht alle Parkplätze fertiggestellt. Während der Veranstaltungen fahren vom Stadtzentrum Sonderbusse, die die Besucher ins Stadion bringen. Bis zur Europameisterschaft soll es auch eine Schnellstraßenbahn von der Stadt zum etwa 15 Minuten entfernten Stadion geben, die sich allerdings derzeit noch im Bau befindet.
  • Behinderte: Nach Angaben des Betreibers ist das Stadion barrierefrei zugänglich. Gut 200 Plätze stehen für Rollstuhlfahrer und deren Betreuer zur Verfügung.
  • Gastronomie: Eigenes Essen und Getränke dürfen nicht mit ins Stadion genommen werden. An mehreren Kiosken gibt es Hot-Dogs, Bratwürste, Hamburger oder Nachos sowie kalte Getränke zu kaufen. Alkohol wird nicht ausgeschenkt. Dafür zahlt man in einer eigenen Stadion-Währung: zum Preis von 8 Złoty (etwa 2 Euro) gibt es Jetons zu kaufen; für jeden dieser Plastechips bekommt man eine Speise oder ein Getränk seiner Wahl. Einmal gekauft, müssen die Jetons auch genutzt werden, eine Rückgabe ist nicht vorgesehen. Das ebenfalls im Stadion geplante Restaurant ist zur Eröffnung noch nicht fertig geworden.
  • Rauchen und Alkohol: Offiziell gilt im Stadion ein Rauch- und Alkoholverbot. Zumindest an das Rauchverbot scheint sich aber niemand so recht zu halten. Das strikte Rauchverbot gilt übrigens nicht nur im Stadion, sondern allgemein in Polen in allen öffentlichen Einrichtungen und in Cafés und Restaurants, sofern dort nicht ein separater Raucherraum eingerichtet wurde. Auch vor dem Genuss von alkoholischen Getränken vor dem Stadion und auf den Straßen der Breslauer Altstadt sollte man sich hüten. Denn auf öffentlichen Plätzen ist das Trinken von Alkohol untersagt und wird rigoros mit bis zu 100 Złoty Bußgeld bestraft.

Erschienen in: Sächsische Zeitung, 17.09.2011

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