Triumph der Brotfabrik-Helden über Hitlers Luftwaffe

Quelle: WikipediaEin denkwürdiges Spiel vor fast 70 Jahren ist bei den ukrainischen Fans unvergessen – das Todesspiel. Die Mannschaft einer Kiewer Brotfabrik tritt gegen die Flakelf der deutschen Besatzer an – und gewinnt trotz der Drohung das eigene Leben zu verlieren. Später werden einige von ihnen im KZ erschossen. Eine Geschichte mit großem wahren Kern und vielen Mythen.

Von Robert Kalimullin und Martin Brand

Nicht immer ging es freundschaftlich zu, wenn Deutsche und Ukrainer in Kiew Fußball spielten. Sommer 1942: Seit fast einem Jahr befindet sich die Stadt bereits in der Hand deutscher Besatzer. Das Massaker von Babyn Jar, bei dem in einer Schlucht am Stadtrand mehr als 33.000 Menschen ermordet wurden, ist erst ein gutes halbes Jahr her. Doch die Deutschen wähnen sich inzwischen sicher genug, eine kleine Fußballliga zu gestatten.

Am 6. August spielt der FC Start, die Mannschaft einer Kiewer Brotfabrik, gegen die Paradetruppe der Besatzer, die Flak-Elf der Luftwaffe, und gewinnt vor 10.000 Zuschauern 5:1. Was die Deutschen nicht wissen: Der FC Start ist keine gewöhnliche Werkself. Viele Spieler liefen vor dem Krieg für Dynamo Kiew auf und zählen zur Elite des sowjetischen Fußballs. Die deutschen Soldaten brennen auf Revanche, und so treffen beide Mannschaften am 9. August erneut aufeinander.

Auf den Zuschauerrängen herrscht Ekstase. Die Flak-Elf will eine weitere Schmach unter allen Umständen vermeiden, doch schon zur Halbzeit führt Start 3:1. In der Pause kommt Generalmajor Eberhard, der deutsche Stadtkommandant, in die Kabine der Kiewer. Er droht, sie erschießen zu lassen, sollten sie auch dieses zweite Spiel gewinnen. Die Ukrainer lassen sich aber nicht einschüchtern. Sie dribbeln und kämpfen weiter, gewinnen am Ende 5:3.

Es ist ein symbolischer Erfolg gegen das deutsche Besatzungsregime, und so sehen es auch die Geschlagenen. Kurz nach der Begegnung werden neun Spieler der siegreichen Elf verhaftet und ins Konzentrationslager gesperrt. Vier von ihnen werden später dort erschossen.

Diese Geschichte kennt noch heute jeder Fußball-Fan in der Ukraine. Drei Denkmäler gibt es in Kiew für die Helden des FC Start, der Kinofilm „Die Dritte Halbzeit“ erinnert an sie. Auch Hollywood verfilmte den Stoff, mit Sylvester Stallone und Pele. Und doch gilt das Todesspiel unter ukrainischen Sporthistorikern als vielfach widerlegter Mythos sowjetischer Propaganda.

Fest steht: Der FC Start spielte im Sommer 1942 gut ein Dutzend Mal gegen Mannschaften der deutschen Besatzer aus, darunter auch zweimal gegen die Flak-Elf, und gewann alle Duelle. Gut eineinhalb Wochen nach dem angeblichen Todesspiel wurden einige Spieler an ihrem Arbeitsplatz in der Brotfabrik verhaftet.

Sie sollen dabei erwischt worden sein, wie sie Mehl aus der Fabrik schmuggelten. Einer der Männer starb später während eines Gestapo-Verhörs. Wegen des Verdachts, für den sowjetischen Geheimdienst gearbeitet zu haben, war er zu Tode gefoltert worden. Drei andere Spieler wurden ein halbes Jahr später im KZ erschossen.

Mit dem Sieg über die Flak-Elf hatte dies jedoch nichts zu tun. Wahrscheinlicher ist, dass die Fußballspieler im Zuge einer Vergeltungsaktion wegen eines Partisanenangriffs hingerichtet wurden. Das Schicksal eines Spielers ist ungeklärt, die übrigen überlebten den Krieg.

Dass der Mythos sich trotz dieser Fakten hält, erklärt Sergej Polchowski, Direktor von Dynamo Kiew TV, so: „Der Grundkonflikt, entweder der Bedrohung durch den Feind nachzugeben oder ihr zu widerstehen und sein Leben zu opfern, war für mich als kleiner Junge unheimlich beeindruckend.“

Erst in den letzten Jahren der Sowjetunion gab es mehr Informationen, die belegen, dass der Tod der Fußballspieler nicht im Zusammenhang mit dem Spiel gegen Deutschen stand. Doch diese Erkenntnisse rütteln nur sehr zaghaft an den weit verbreiteten Vorstellungen von den heldenhaften Kiewern. „Was einer nicht glauben will, glaubt er eben nicht“, sagt Polchowski. „Schließlich hatten unsere Spieler ja tatsächlich immer gegen die deutschen Besatzer gewonnen.“

Dieser Beitrag wurde gefördert durch ein Recherchestipendium der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit.

Erschienen in: Die Welt, Welt kompakt, Berliner Morgenpost, 11.11.2011

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