Eine Massendemonstration der Moskauer Bevölkerung versucht, die Verstaatlichung des Oppositionssenders NTW zu verhindern. Doch der Aufstand kommt spät.
Der Kampf um den Sender NTW geht weiter. Die Zukunft des großen russischen Privatsenders und die seines Gründers Wladimir Gussinskij sieht inzwischen recht bedrohlich aus. Für Dienstag, den 3. April ist eine Aktionärsversammlung der Media-Most-Holding angesetzt, und dort droht eine Absetzung der Führungsriege des Medienunternehmens. Das glaubt nicht nur der Chef der Media-Most Gussinskij, der gerade wieder gegen Kaution aus der spanischen Auslieferungshaft entlassen wurde. In Moskauer Fachkreisen geht man davon aus, dass der staatlich kontrollierte Erdgas-Monopolist Gasprom die Spitzenpositionen im Unternehmen besetzten wird und somit auch den Sender NTW unter die Fittiche des Kremls stellen kann.
Dem Oppositionssender droht aber noch weiter Ungemach: Bis zum 1. Juli muss Gussinskij einen Kredit von 261,5 Millionen Dollar an eine Schweizer Bank zurückzahlen. Geschieht dies nicht, springt Gasprom als Gläubiger ein und übernimmt dann ein schon jetzt eingefrorenes Paket von 19 Prozent der Media-Most-Aktien. Da Gasprom schon jetzt 46 Prozent der Media-Most-Aktien kontrolliert, wäre NTW dann endgültig unter der Kontrolle des staatseigenen Erdöl- und Erdgaskonzerns.
Um dies zu verhindern, versammelten sich am Samstag nahezu 10.000 Menschen auf dem Moskauer Puschkinplatz, um für Pressefreiheit und gegen eine Vernichtung von NTW zu protestieren. An der als Rockkonzert angemeldeten Demonstration beteiligten sich etliche Prominente, darunter Michail Gorbatschow, früherer Präsident der UdSSR und Mitglied des Beratungsgremiums bei NTW, Grigorij Jawlinskij, Vorsitzender der liberalen Jabloko-Partei, Jegor Gaidar, früherer Premierminister und die russische Pop-Ikone Alla Pugatschowa. Sie alle demonstrierten für einen Erhalt von NTW, der als einziger russischer Fernsehsender kritisch über die Vorgänge in Tschetschenien berichtet und es auch wagt, Präsident Putin seine Fehler vorzuhalten.
Doch diese Berichterstattung könnte schon in der nächsten Woche der Vergangenheit angehören, wenn die Befürchtungen Jewgeni Kiseljows wahr werden. Der beliebte Journalist und Moderator bei NTW, ist zugleich Generaldirektor des Senders und sagte in einem Gespräch mit der Moscow Times: „Die Situation ist ziemlich ernst. Ich werde am Sonntag meine eigene Sendung präsentieren und das könnte das letzte Mal sein. Es ist ganz einfach – ein neues Management kann alles machen. Diejenigen, die behaupten, es gehe um einen finanziellen Streit, sind entweder Idioten oder Lügner. Es geht um die Freiheit der Presse, der Gesellschaft, um die Freiheit Russlands.“
Die Demonstranten zeigten sich solidarisch mit NTW und forderten auf Plakaten unter anderem „Herr Präsident, die Hände weg von NTW“.
Am selben Tag erschien in der Zeitung Kommersant ein Appell, in dem Präsident Putin beschuldigt wurde, durch „Durchsuchungen, Befragungen, Verhaftungen, Einschüchterungen und öffentliche Verleumdungen“ die Berichterstattung NTW’s zu beeinflussen. Dabei ist anzumerken, dass Kommersant im Besitz eines anderen Medienmoguls ist. Die Zeitung gehört Boris Beresowskij, der sich wie Gussinskij im ausländischen Exil aufhält, da er eine Verfolgung der russischen Generalstaatsanwaltschaft befürchten muss. Einst waren Wladimir Gussinskij und Boris Beresowskij erbitterte Feinde. Doch der Kampf um ihre Medienimperien scheint die beiden zu vereinen. Wie Gussinskij in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau (FR) sagte, hat Beresowskij ihn vor einigen Tagen im Gefängnis in Madrid besucht. Dabei dürfte höchstwahrscheinlich über das Vorhaben Beresowskijs gesprochen worden sein, dem finanziell hoch verschuldeten Gussinskij mit einem 50-Millionen-Dollar-Kredit aus der Patsche zu helfen.
Anscheinend haben die Menschen in Moskau nun verstanden, was bei diesem Kampf um die Medienmacht in Rußland auf dem Spiel steht. Gussinskijs in der FR zitierte Vision, da´ss „ohne Hilfe NTW schon im Juni ein Staatssender und seine journalistische Unabhängigkeit zum Teufel ist“, könnte schon morgen Realität sein. Vor ein paar Monaten sah man diese Gefahr in der Hauptstadt noch nicht. Damals folgten gerade einmal 20 Menschen einem Aufruf der Jabloko-Partei, gegen die Verstaatlichung von NTW zu demonstrieren.
Dieser Artikel erschien zuerst 2001 im Internetportal meOme.de.
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